Lars schaut verlegen zu seiner Frau. Sie schaut erwartungsvoll zurück und sagt: „Jetzt bin ich gespannt!“⠀
Lars antwortet, etwas hilflos: „Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Wir streiten einfach oft und ich weiß gar nicht genau warum. Also, meine Frau wollte ne Paartherapie machen und da hab ich dann recherchiert und ihr verschiedene rausgesucht, sogar das war irgendwie falsch!“⠀
Jule schreitet ein: „Und damit liegt das Problem schon auf der Hand! Er wollte sich kümmern und am Ende musste ich dann doch wieder die Entscheidung übernehmen!!!“ und fügt wütend hinzu, „Alles bleibt an mir hängen! Ich fühle mich teilweise wie seine Mutter! Sag ruhig, dass ja nur ich das Problem habe... oder noch besser! Das ich das Problem BIN!“⠀
Lars schaut wie ein kleiner Junge zu Boden.⠀
Ich schaue Jule an, verschränkte Arme, verhärtete Gesichtszüge, ein herausfordernder Blick zu mir!⠀
„Sie fühlen sich komplett allein gelassen.“, sage ich vorsichtig.⠀
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„Ja!“, dann atmet Jule ein und beim ausatmen steigen schon die Tränen in die Augen, „...ach mann, ich wollte nicht heulen! Unser Sohn ist jetzt 8 Monate alt, ich bin noch in Elternzeit und ich bin echt gerne Mama, aber ich fühle mich so wie eine Alleinerziehende, Lars kommt oft erst abends um 6 nach Hause, da bin ich meist platt! Er hat ja auch nen anstrengenden Tag, aber dann essen wir, während ich abräume, kümmert er sich um Mats. Dann mache ich ihn bettfertig, während Lars duscht und dann bin ich um halb 8 selbst so erschlagen und müde. Und wenn ich dann trotzdem zu Lars auf die Couch gehe, schaut er einfach weiter seine Dokus.“⠀
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„Und sie würden sich wünschen, dass er sie dann mehr beachtet...“, schlussfolgere ich.⠀
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„Ts! Mehr beachtet! Ich brauche niemanden, der mir den Kopf tätschelt!!! Für ihn ist das alles so selbstverständlich! Er könnte Mats ja auch mal ins Bett bringen!“, fährt Jule mich scharf an.⠀
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„Sie sind richtig wütend!“⠀
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„Ja!!! Als sei ich komme mir vor wie in den 50er Jahren!“, Jule ist richtig aufgebracht.⠀
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„...und eigentlich sind sie vor allem enttäuscht!“, biete ich ihr als Gefühl an.⠀
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Jule beginnt zu weinen.
„Gut. Ich verstehe das alles nicht. Meine Frau wollte gerne zwei Jahre zu Hause bleiben und ich finde das total schön und bin froh, dass ich ausreichend verdiene. Dennoch ist das finanziell echt ne Herausforderung. Also arbeite ich auf ne Gehaltserhöhung hin, da kann ich dann nicht sagen: ‚Nee, das schaffe ich nicht!‘ und dann komme ich nach Hause, habe kaum Pausen...“⠀
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„Ich habe GAR KEINE PAUSE!“, schluchzt Jule!⠀
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Ich ignoriere die Unterbrechung und schaue Lars ermutigend an.⠀
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Lars jedoch schaut seine Frau an. ⠀
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„Sie würden gerne mehr tun, wissen aber nicht wie?“⠀
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„Ich bin Ingenieur, wenn es ein Problem gibt, versuche ich das zu lösen. Wenn ich ne Formel hätte, die ich irgendwie...“⠀
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„Ne Formel für die EHE? Du brauchst ne FORMEL? Ne Formel wie Du mich zu LIEBEN HAST?“⠀
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„Sie fühlen sich überhaupt nicht mehr geliebt, gewertschätzt, begehrt.“, biete ich Jule an.⠀
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„Definitiv! Allein die Aussage!!! Wenn er mich lieben würde, bräuchte er keine Formel!“⠀
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„Lieben Sie Ihre Frau?“, frage ich Lars.⠀
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Plötzlich schwindet seine Hilflosigkeit, es wirkt fast so, als freue er sich endlich mal klar auf eine Frage antworten zu können: „Ich liebe Jule so sehr! Ich will nur, dass sie glücklich ist aber wenn ich sie nicht mehr glücklich machen kann, dann verstehe ich auch, wenn sie gehen will...“⠀
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Jule weint nun durch, beim letzten Satz jedoch, schluchzt sie so laut auf, ihr Schmerz ist so greifbar.⠀
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„Wenn Sie das so sagen, dann könnte Ihre Frau auch das Gefühl bekommen, dass Sie sie eben nicht so sehr lieben, ist Ihnen das klar?“⠀
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Lars ist nun völlig irritiert: „Ich kann Sie doch nicht zwingen mich zu lieben...“⠀
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„Es ist aber ihr Wunsch, dass Sie sie liebt?“⠀
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„Ja, klar!“⠀
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„Und Sie haben Angst, dass sie Sie nicht mehr liebt?“
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„Sie ist nur noch wütend! Ich kann nichts richtig machen! Selbst wenn ich Ihr Hilfe anbiete...“⠀
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„DAS IST ES EBEN!“, schreit Jule nun, „Es ist UNSER SOHN! UNSERE WÄSCHE! UNSER HAUS!“⠀
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„...und es macht sie so wütend, dass er Ihnen das Gefühl gibt, Sie seien die Bedürftige, diejenige die Hilfe braucht.“
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„Ja!“, seufzt Jule erleichtert.
Lars jedoch geht es nun richtig schlecht, er fühlt schuldig - zu Unrecht.
Nun widme ich mich Lars zu, mir ist bewusst es ist eine Herausforderung, wenn er Aufmerksamkeit bekommt, denn die hat er, in Jules Welt, gerade nicht verdient, so wie er sich verhält. Ich bin jedoch kein Anwalt oder Schiedsrichter, ich ergreife nicht Partei. Ich bin für Beide da, daher ist es wichtig bei meinen Interventionen Jule zwar im Blick zu haben, mich dennoch ganz offen Lars zuzuwenden.⠀
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„Sie fühlen sich furchtbar schuldig.“⠀
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„Ja! Aber ich kann es irgendwie nicht ‚gut‘ machen.“⠀
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„Wie geht es Ihnen denn? Sie sind sehr im Außen, bei Jule, bei Ihrem Chef...“⠀
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„Na ja, aber darum geht es doch, deswegen sind wir ja hier! Ich möchte...“, er bricht ab, schaut zu Jule, hat Angst wieder etwas Falsches zu sagen.⠀
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„Eine Formel.“, wenn ich das sage, so hoffe ich, tut es Jule nicht so weh.⠀
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Er atmet erleichtert auf, als Jule es diesmal so stehen lässt: „Ja! Ich will doch einfach nur, dass es meiner Frau wieder gut geht!“⠀
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„Genau! Sie sind gar nicht so wichtig, Ihre Aufgabe ist es der Gute zu sein, der Starke, der für Andere sorgt!“⠀
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„Ja!“⠀
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Ich blicke kurz zu Jule, es wirkt fast so, als würde sie langsam verstehen.⠀
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„Und das ist so furchtbar anstrengend, da Sie jetzt an einem Punkt sind, wo Ihnen das nicht mehr gelingt.“, sage ich zu Lars.⠀
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„Ja, Ich fühle mich hilflos.“⠀
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„Und das fühlt sich so befremdlich an!“⠀
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„...wenn ich es doch nichtmal schaffe, ein guter Mann zu sein, ich sie nur verletze und nicht gut genug bin, ihr nicht das Wasser reichen kann, was bleibt dann noch?“, sagt Lars sachlich.⠀
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„Das ist so traurig.“⠀
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„Nein. Es ist ja ein Fakt!“⠀
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„Es ist ein Fakt, dass Sie ein Versager sind?“, sehr konfrontierend, damit auch er ins Gefühl kommt. Er reagiert zunächst irritiert: „Wie bitte?“⠀
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„‚Was bleibt noch‘, waren Ihre Worte.“⠀
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Lars schweigt. ⠀
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„Sie haben versagt.“⠀
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„Ja, wahrscheinlich!“⠀
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Jule greift erneut zur Taschentuchbox. Endlich scheint sie bei ihrem Mann zu sein.⠀
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„Was berührt Sie gerade so?“, frage ich Jule.⠀
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„Ich bin so mit mir beschäftigt und bin nie auf die Idee gekommen, mich zu fragen, wie er sich wohl fühlt. Er tut ja immer so, als sei alles ok. Und... ich fühle mich furchtbar!“
„Und jetzt fühlen Sie sich schuldig?“, frage ich Jule.⠀
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„Ja, schon. Mir war nicht klar, dass er da so viel Druck empfindet und das Gefühl hat zu versagen. Er tut ja immer so, als sei alles ok. Und ich komme mir vor wie die hysterische Hausfrau, die zu viel verlangt. Der es, so wie es ist, eben nicht reicht.“⠀
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„Und so sind sie gar nicht. Sie sind keine keifende Ziege, die sich nur beschwert.“⠀
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„Genau! Das war ich nie und das will ich auch nicht werden.“⠀
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„Aber sie haben Angst, dass Ihr Mann sie so sieht?“⠀
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„Ja klar! Vor allem, weil er ja scheinbar mit so viel weniger zufrieden ist, sich nie beschwert, kaum Emotionen zeigt, als sei ihm alles egal.“⠀
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„Als seien Sie ihm egal?“, biete ich Jule an.⠀
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„Ja, und das tut so weh, wenn man alles macht und tut und er im Streit so was sagt wie, dann müssen wir...“, die Gefühle überwältigen Jule erneut, „...uns, vielleicht trennen!“⠀
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„Das wollen Sie nicht. Sie lieben Ihren Mann!“⠀
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„Ja, klar!“, schluchzt Jule und lacht sogar etwas, als gäbe es daran Zweifel.⠀
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„Wussten Sie das?“, frage ich Lars, der nun selbst berührt ist.⠀
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Er schüttelt den Kopf und bietet Jule seine Hand an. Sie nimmt sie und hält sie fest, ohne ihn jedoch länger anzuschauen.⠀
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„Warum hatten Sie Zweifel an der Liebe ihrer Frau?“, frage ich ihn.⠀
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„Na ja, weil sie mir tagtäglich zeigt, dass ich überflüssig bin. Sie ohnehin alles alleine macht, sie braucht mich ja nicht.“⠀
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„Und man wird dann geliebt, wenn Andere von einem profitieren?“⠀
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„So würde ich das nicht ausdrücken, aber ja, man verliebt sich ja nicht in einen Versager.“⠀
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„Ist Ihr Mann ein Versager?“, frage ich Jule.⠀
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Sie schaut mich an, als wäre ich nicht ganz dicht. „Nein! Natürlich nicht!“⠀
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„Können Sie denn nachvollziehen wie er sich fühlt?“⠀
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„Das Gefühl alles zu geben und doch nicht zu reichen, das kenne ich ja.“, sagt Jule traurig, „Ich sage ihm ja wirklich immer was er falsch macht. Ich weiß nicht, wie es so weit kommen konnte!“⠀
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„Wenn Ihr Mann Sie so verletzt hat, mussten Sie vielleicht dafür sorgen, dass es nicht mehr so weh tut? Vielleicht indem Sie ihn abwerten? Denn jemand den wir abgewertet haben, der kann uns nicht mehr so sehr verletzen.“
In der Personzentrierten Paartherapie sehe ich mich eher als Übersetzerin, mit einer gewissen Schutzfunktion. Alles darf gesagt werden, alles ist okay und auch wenn es weh tut, kann der Schmerz, durch das Verständnis gelindert werden. ⠀
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Im nächsten Schritt würden wir uns dem „Warum“ widmen. ⠀
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Hier ist es oft hilfreich auf die ersten Beziehungserfahrungen zu schauen: ⠀
Die Beziehung zu den Eltern.
Dabei geht es überhaupt nicht darum die Kindheit zu bewerten (gut/schlecht), sondern darum zu verstehen, welche Grundsteine gelegt wurden. ⠀
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Die perfekte Kindheit kann bspw. für Selbstzweifel sorgen, weil die Vorbilder so toll und die Ansprüche an sich selbst so hoch sind.⠀
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Ist auch das verstanden worden, können Lars und Jule viel liebe- und verständnisvoller miteinander umgehen. Aussagen und Verhaltensweisen werden eher so verstanden, wie sie gemeint sind und es wird nicht permanent eine böse Absicht unterstellt (Machtkampf). ⠀
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Die Kommunikation wird immer wieder thematisiert, hier helfen konkrete Situationen, die dann genauer betrachtet werden.⠀
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Und irgendwann kommt das Paar an den Punkt, an dem es alleine weiter macht. Mal nach 4 Sitzungen, mal nach 13 Sitzungen. Manche Paare kommen nach 1-2 Jahren wieder, andere schicken ihre Freunde oder Eltern (ja! Alles schon passiert) ⠀
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...und dann gibt es auch die Paare, die sich trennen. Ich bin nicht dazu da Dinge „schön“ zu reden oder die Verantwortung zu übernehmen sondern ich bin für Transparenz, so weh es manchmal auch tut.⠀
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Und natürlich gibt es Paare die kommen nicht wieder, es geht eben nicht nur darum, ob sie ihre Beziehung retten wollen, sondern auch, was sie bereit sind dafür zu tun und ob ich als Person die richtige bin.