Paartherapie, Personzentrierte Beratung & Weiterbildung
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Mitgefühl versus Mitleid

"Wer mitleidet, möchte sich vom Leid befreien.
Wer mitfühlt, der ist da und hält mit aus." - Lieblingssternenstaub

Zitate Mitgefühl Selbstliebe

Wer kennt es nicht? Da möchte man einfach mal Dampf ablassen, traurig sein oder nur in Ruhe erzählen, wie es einem geht oder was man erlebt hat und wird ständig unterbrochen, mit Bewertungen, Fragen oder auch Ratschlägen. Warum? Insbesondere, wenn man da doch gar nicht drum gebeten hat. Oder aber, warum reagieren manche so empfindlich darauf, wenn man mitfühlt? Warum sagen sie dann, "Ich brauch Dein Mitleid nicht!"? Gibt es eigentlich einen Unterschied zwischen Mitgefühl und Mitleid? Worin liegt der? Und was ist denn jetzt gut? Und wie kann ich für mich sorgen, wenn ich mal wieder das Gefühl habe, ich komme nicht zu Wort oder werde nicht verstanden?

Der Dialog

„Soll ich vorbeikommen?“, fragt Nathalies Mutter bestürzt, während ihre Tochter am anderen Ende der Leitung schluchzt.
Nathalie nickt und schluchzt dann ein leises: „Ja“, merkt jedoch, wie sich zu ihrer Traurigkeit noch ein leicht unwohles Gefühl im Bauch gesellt. Mama ist sicher nicht die erste Wahl, aber immer noch besser als alleine zu sein.

Eine halbe Stunde später klingelt es, ihre Mutter steht mit Sahnetorte vor der Tür. Nathalie lächelt, essen kann sie aber gerade nichts. Sie bittet ihre Mutter rein, die sich direkt in die Küche begibt und Kaffee aufsetzt.

Nathalie folgt ihr und lehnt an der Arbeitsplatte. Kaffee. Sofort schießen ihr wieder Tränen in die Augen. Marc liebte Kaffee, trinkt ihn aber jetzt lieber mit Jasmin.


Es fällt mir schwer Dich so zu sehen, Liebes! Na komm, hör mal auf zu weinen. Sei lieber froh, dass es rauskam!“, versucht ihre Mutter sie zu trösten.

Das unwohle Bauchgefühl kommt wieder hoch, klar, besser so als weiter angelogen zu werden, aber noch besser wäre es, wenn es einfach nicht passiert wäre. Sie denkt an seine Erklärung und daran, dass er das auch nicht wollte, ihm aber ein bisschen Aufmerksamkeit fehlte. 

„Ich hätte es verhindern können, ich habe ihn als zu selbstverständlich genommen!“, schluchzt Natalie auf.
Ihre Mutter schüttelt mir dem Kopf: „Na komm, das bringt doch nichts. Das ist jetzt passiert. Lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende!“ Sie deckt den Tisch und deutet Nathalie zu, sich zu setzen.


Nathalie sackt auf dem Stuhl zusammen, sie weint, ja es ist vorbei und das tut so weh. „Ich weiß einfach nicht, wir, … wir wollten ein Baby. Heiraten. Und jetzt bin ich Mitte 30 und kann das doch alles vergessen.“

„Na, jetzt übertreib mal nicht, Du bist 32! Und du weißt doch wie schnell das gehen kann, dann gedulde ich mich eben noch mit dem Oma werden“, versucht sie ihre Tochter aufzumuntern, zwinkert ihr zu und beginnt die Torte zu essen.
„Mama, ich kann mir einfach kein Leben ohne ihn vorstellen…“, versucht Nathalie zu erklären.
„Mensch, Nathalie. Du willst aber auch gar nicht nach vorne blicken? Was?“


Nun wünschte sie, ihre Mutter wäre nicht gekommen, warum?

Weil sie sich nicht verstanden, nicht gesehen und nicht gehört fühlt - schlimmer noch, ihre Mutter signalisiert, wie schlecht es ihr geht, Nathalie so leiden zu sehen. Sie bittet sie, mit dem Weinen aufzuhören, spricht ihr also ihre Gefühle ab und fordert sie auf „froh zu sein“, bevor sie ihr schließlich vorwirft, dass sie scheinbar gerne leidet und auch nicht nach vorne blicken möchte.
Aber warum tut Nathalies Mutter das? Und wie könnte sie statt Mitleid, Mitgefühl äußern?

Anbei nun einige Impulse, 

die einerseits helfen zu verstehen, warum wir manchmal in der Tat nicht mitfühlen, sondern mitleiden und auch einige Impulse, wie wir wirklich wirksam helfen, trösten und aushalten können.

Selbstliebe Lernen

1. Je größer die gefühlte Verantwortung, desto größer das Mit(Leid).

Gerade wenn es um eigene Kinder geht, bei denen wir ja tatsächlich sehr lange eine große Verantwortung übernommen haben und zum Teil noch übernehmen, aber auch in der Partnerschaft oder in Freundschaften, eigentlich in Beziehungen jeglicher Art, fühlen wir nicht nur mit, sondern verspüren auch die Verantwortung. Vielleicht nicht die Verantwortung, für das Problem, aber die Verantwortung, den Anderen oder die Andere wieder glücklich zu machen und vergessen vollkommen, dass wir das Leid nicht nehmen können. Wir können nicht für jemand Anderen fallen, wir können lediglich auffangen, halten, bis er/sie wieder von alleine stehen kann.

2. Der Wunsch zu Helfen impliziert einen Mangel an Vertrauen, in Krisen jedoch bedarf es Bestärkung & Verständnis.

Zitate Mitleid

Falls Du kleine Kinder hast oder kennst, erinnerst Du Dich noch an diese Autonomiephase so im 3. Lebensjahr? Es braucht ewig sich selbst etwas anzuziehen, im stressigen Alltag, bist Du vielleicht mal zur Hilfe geeilt und hast Deinem Kind helfen wollen und wie hat Dein Kind reagiert? Vermutlich mit einem klaren Signal: „Ich will das alleine machen!“ Okay, eher mit einem wütenden „ALLEIN“.
In dieser Autonomiephase brauchen Kinder vor allem das Vertrauen darin, dass sie es schaffen. Es bedarf Geduld und ausreichend Zeit, sodass sie sich ihrer selbst immer sicherer werden, Du kannst in dem Fall bestärken, alleine dadurch, dass Du ihnen Dinge zutraust.
Und dieses Vertrauen und diese Bestärkung benötigen wir auch, oder vor allem im Erwachsenenalter. Wenn Dich jemand fragt, ob Du ihr/ihm zeigen kannst, wie man Reifen wechselt und Du sagst dann: „Ich mach das für Dich!“ Sorgst Du ganz subtil für eine Abhängigkeit und vermittelst das Gefühl, Du schaffst das eh nicht. Wenn Du zugehört hättest, Dich in die Person hineinversetzt hättest, dann hättest Du den Wunsch es zu lernen ernst genommen und Dir die Zeit genommen, es zu erklären. Es einfach für die Person zu tun, war nicht der Wunsch Deines Gegenübers.


3. Ratschläge & Lösungsvorschläge sind häufig das Resultat von Mitleid.
Vielleicht ist Dir mittlerweile schon klar, was jetzt genau der Unterschied ist, zwischen Mitleid und Mitgefühl. Sobald Du merkst: Boah, ich kann das nicht ertragen, wie sie/er leidet, fühlst Du Dich offenbar verantwortlich für das Wohlbefinden von ihm oder ihr. Und da möchtest Du wirksam sein, nennst Lösungen oder Ratschläge, obwohl Du gar nicht danach gefragt worden bist. Und Du vergisst dabei, dass Du eben nicht mit Dir selbst redest. Wenn jemand ganz furchtbare Angst vor Konflikten mit seinem oder ihrem Vorgesetzten hat, weil immer mehr Leute nach und nach entlassen wurden. Du hingegen ein freundschaftliches Verhältnis mit Deinem Chef oder Deiner Chefin hast, dann mag es aus Deiner Sicht sinnvoll sein, das Gespräch zu suchen und Dich zu beschweren, über die Arbeitsbedingungen. Aber für Deinen Gegenüber ist das eben keine Option. Das wüsstest Du, wenn Du sie oder ihn ausreden lassen würdest.

Zitate Mitgefühl Selbstliebe


4. Der- oder Diejenige, der oder die die Konsequenzen trägt, ist in der Verantwortung.
Greifen wir das Beispiel mit den Arbeitsbedingungen nochmal auf. Was wäre, wenn Dein Gegenüber den Ratschlag, das Gespräch zu suchen, tatsächlich umsetzt und dann eine betriebsbedingte Kündigung als Konsequenz folgt.
Dann wirst Du Dich vielleicht schuldig fühlen oder die Schuld bekommen, ändert nichts an der Kündigung. Klar kannst Du dann sagen, dass es doch ihr/seine Verantwortung war und er / sie vielleicht im Gespräch hätte freundlicher sein sollen oder was auch immer.
Wenn Du nicht die Person bist, die die Konsequenzen trägt, bist Du offensichtlich nicht in der Verantwortung.


5. Für Mitgefühl bedarf es Vertrauen in die Fähigkeiten Deines Gegenübers.
Aushalten, da sein, bestärken, mitfühlen, die Perspektive des Anderen einnehmen, statt zu trösten, Ratschläge zu verteilen und Lösungen anzubieten, bedarf natürlich Vertrauen und signalisiert eben auch Vertrauen. Glaubst Du ernsthaft, dass Nathalie es nicht schafft, den Liebeskummer ohne Dich zu überwinden? Doch klar. Aber es braucht Zeit, ihr Selbstwertgefühl ist im Keller, vielleicht hat sie gar Angst nochmal verletzt zu werden und wartet mit der Partnersuche, länger als Du es tun würdest, oder stürzt sich direkt hinein. Sie wird ihren Weg gehen, und wenn die Liebelei nach der Trennung nach drei Monaten in die Brüche geht, dann ist das so und wenn sich daraus eine Ehe und drei Kinder entwicklen, dann ist das auch so. Das wird und darf Nathalie ganz alleine erfahren, erleben. In ihrem Tempo, vertraue darauf, dass sie da raus kommt und sei einfach da. Klar, kannst Du Deine Meinung sagen, wenn Du danach gefragt wirst, aber Deine Meinung ist auch nur Resultat Deiner Erfahrungen und spiegelt nicht die allgemein gültige Wahrheit wieder. Also versuche abwertfrei zu reagieren, es ist voll okay zu sagen: „Mir hat Tinder eigentlich nur geschadet, nach meiner Trennung von xy.“ Aber es ist anmaßend und herablassend, ihr beispielsweise zu sagen, dass sie selbst schuld ist, wenn sie bald wieder Liebeskummer hat, weil Tinder voller Idioten ist!“

Selbstliebe lernen


6. Wer sich verbal immer im Kreis dreht, suhlt sich nicht im Leid, sondern wurden noch nicht verstanden.
Ja, ja und nochmal ja, es ist unglaublich anstrengend, wenn immer wieder die gleiche Schallplatte läuft. Es ist frustrierend und irgendwann kann man es auch nicht mehr hören. Aber vielleicht hilft es Dir, den Sinn dieser Wiederholungen zu verstehen? Es ist nämlich so, dass wir uns immer dann wiederholen, wenn wir das Gefühl haben, dass der Kern von dem was wir sagen wollen, noch nicht verstanden wurde. Vielleicht auch bisher nur nicht von uns selbst. Falls Dir das also das nächste Mal passiert, dass Du genervt bist von den Wiederholungen, dann stell das doch einfach mal zur Verfügung, sag: „Wir haben eure Trennung nun von allen Seiten angeschaut, immer wieder drehst Du Dich im Kreis, kann es sein, dass ich irgendwas noch nicht verstanden habe?“


7. Du kannst eigene Fehler nicht korrigieren, indem Du andere davor bewahrst.
Zu guter Letzt, manchmal sehen wir bei Anderen etwas, oder werden mit einer Situation konfrontiert, die wir sehr gut kennen und aus der wir so oder so rausgekommen sind. Wir leiden genau deswegen so mit, weil wir getriggert werden und an unser Leid damals denken und da wir es ja so und so daraus geschafft haben, wollen wir unserem Gegenüber helfen, auch da raus zu kommen oder vor den Fehlern, die wir in der Situation begangen haben zu bewahren. Löblich, nobel und eine weitere Erklärung, warum Du machmal mit Wiederholungen oder „Ja, aber…“ Satzanfängen konfrontiert wirst. Du verstehst nicht sie oder ihn. Du verstehst Dich und redest mit Dir selbst.

8. Mitleid fühlt sich oft übergriffig, fast herablassend an, egal wie gut die Absicht.

Warum? Das ist Dir vermutlich nun bewusst und vielleicht wusstest Du es auch schon vorher. Wenn ich jemandem sage: "Da musst Du jetzt einfach mal xy tun", impliziere ich ja u.a., dass es eigentlich kein Grund zu leiden gibt, nicht schlimm sei, denn es gibt ja offensichtlich ne Lösung: "Einfach mal machen!" ...wenn es jedoch so einfach wäre, würde der Andere gerade nicht in einer Krise stecken. Vielleicht ist es für Dich nicht nachvollziehbar, aber das spielt keine Rolle, ist nämlich nicht Dein Problem und falls Du es zu Deinem machst, dann übernimmst Du wie gesagt eine Verantwortung von jemand Anderem und das ist übergriffig und zum Teil erniedrigend.

(Es sei denn, Du wirst explizit um Rat gebeten, in dem Fall sorgt Dein Gegenüber dafür, dass er Dich auf eine höhere Stufe stellt, weil Du vielleicht mehr Expertise hast, mehr Kompetenzen oder was auch immer... Das ist okay. Es ist eben nur unschön, wenn sich jemand anderes über uns stellt.)

Das Fazit


Gefühle müssen durchlebt werden, im Idealfall darf ich sie rauslassen, dadurch, dass ich verstanden werde und man mir Raum gibt, meine Verantwortung bei mir lässt, in mich vertraut und da ist. Zuhört. Statt mir meine Welt zu erklären und mir zu sagen, was ich tun sollte, immerhin trage ich schlussendlich die Konsequenzen.
Nathalies Mutter fällt es schwer „auszuhalten“, sie sieht sich in der Aufgabe, ihrer Tochter zu helfen, fühlt sich verantwortlich, möchte aufmuntern und sich so vom eigenen Leid, ihre Tochter so sehen zu müssen, befreien.

 

Nathalies Mutter meint es gut, sie liebt ihre Tochter und würde sie am liebsten vor jeder Krise und jedem Tief beschützen.

Nathalie fühlt sich dadurch immer wieder, wie ein kleines Mädchen, dem die Mutter nichts zutraut und heute hätte sie sich einfach eine Umarmung gewünscht, etwas Raum.

Es ist gar nicht so leicht „auszuhalten“.

Wir wollen wirksam sein, bieten Lösungen an (ohne das Problem zu würdigen), verteilen Ratschläge, spenden Trost mit Plattitüden, wollen etwas Kluges, Hilfreiches sagen. Wir wollen helfen. Wir wollen positiv denken und sagen, dass es alles nicht so schlimm ist.

Versuche mal da zu sein, zuzuhören, Raum zu geben und bedenke: Alles was dein Gegenüber sagt, ist jetzt gerade wahr für ihn/sie. Und vertraue darauf, dass er seinen/sie ihren Weg finden wird, in seinem/ihrem Tempo.

Eine Frage erreichte mich zu dieser Thematik auf meinem Instagramkanal, nämlich ob wir denn immer Mitgefühl haben müssen?
Nein. Auf keinen Fall. Mitgefühl ist keine Charaktereigenschaft, sondern eher eine freiwillige Handlung, für die es eben ausreichend Bereitschaft und Kapazität geben müsse. Und ja, auch die Fähigkeit zur Empathie und Perspektivübernahme sollten vorhanden sein. Also, wir müssen nicht die ganze Not und den ganzen Schmerz der Welt aushalten, mitfühlen mittragen, sondern Mitgefühl ist ein Geschenk, dass man Menschen machen kann, die einem wichtig sind.
Und irgendwie kommen wir immer wieder auf das Selbstliebe-Dilemma zurück. Achte zunächst auf Dich, so wie Du Dir in einer Notsituation im Flugzeug auch zuerst selbst die Sauerstoffmaske aufsetzt, sobald Du dann atmen kannst, kannst Du ganz vielen Anderen helfen. Wenn Dir der Sauerstoff fehlt, schadest Du vor allem Dir selbst und bist gleichzeitig frustriert darüber, was Du alles gibst und wie wenig Du bekommst. Dabei ist es eben kein Tauschgeschäft. Dieses Leben. Ich nehme was ich brauche und gebe, was ich kann und möchte. Wenn ich mir nichts nehme und immer gebe, egal ob ich das gerade kann, dann bin ich frustriert, ausgeliefert und fühle mich ungerecht behandelt. Besinne Dich auf die Dinge, die Du tun kannst oder auch lassen kannst, um raus aus der Abhängig von Anderen zu kommen. Wenn Dir jemand selten zuhört, aber immer auf Dich zurückgreift um gehört zu werden, kannst Du ihn oder sie nicht zwingen, Dir zuzuhören, aber Du kannst Deine Kapazitäten vielleicht denen geben, die Dich zu schätzen wissen und Dir ebenfalls Raum geben.


 


 
 
 
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