Glaube nicht alles was Du denkst und fühlst!
„Aber ich dachte Gefühle sind wichtig? Ich dachte, Selbstliebe bedeutet, dass ich meine Gedanken und Gefühle wertschätze? Ich dachte, ich solle mich mehr an mir und weniger am Außen orientieren? Was denn jetzt? Bin ich falsch? Sind meine Gedanken und Gefühle nicht richtig? Nicht berechtigt?“
Alles ist berechtigt! Du bist richtig! Deine Gedanken und Gefühle sind echt und haben eine ganz wichtige Funktion: Sie beschützen Dich!
Allerdings stammen nicht alle Deine Gedanken von Dir, wie bspw. „Stell Dich nicht so an!“
Deine Gefühle sind teilweise das Resultat, dieser Glaubenssätze oder negativer Erfahrungen.
Angeschaltete Herdplatte angefasst, verbrannt, gelernt: Angeschaltete Herdplatte nicht anfassen. Logisch.
Andere Erfahrungen sind jedoch komplexer und die Kausalität ist nicht so klar, je nach Erfahrung, Verbrennungsgrad und Umgebung kann sich eine Generalisierung entwickeln:
Diese Angst ist echt! Sie ist, in Deiner Welt, auch berechtigt. Sie dient Deinem Schutz.
Was hilft? Korrigierende Erfahrungen.
Sobald wir aber weg von diesen klaren Beispielen mit der Herdplatte gehen, hin zu zwischenmenschlichen Beziehungen wird es deutlich komplexer. Wenn Du als Kind nicht gut behandelt wurdest und Dir suggeriert wurde es liegt an Dir, kann es passieren, dass Du Angst hast, nicht Vertrauen kannst, Du Dich selbst abwertest und die Schuld immer bei Dir suchst. Die Stimme von bspw. Deiner Mutter wird zu Deiner eigenen: „War doch klar, dass ich das nicht schaffe!“ „Ich bin einfach zu anstrengend!“ „Ich bin hässlich!“
Deine Gefühle greifen vor, um Dich vor einer erneuten Verletzung zu bewahren - auch wenn keine Gefahr lauert.
Daher ist es so wichtig, auch seine eigenen Gedanken, Überzeugungen und gar Gefühle zu hinterfragen, zu reflektieren und nicht alles zu Glauben, was Du denkst und fühlst. Überlege Dir genau, woher wohl Deine Gedanken und Gefühle kommen. Wo liegt ihr Ursprung?
Wenn Du Dich an der Herdplatte verbrennst, wurde Dir vermutlich nicht beigebracht, dass von ihr eine Gefahr ausgeht, sofern sie angeschaltet ist.
Und wenn Dich jemand nicht gut behandelt, wurde Dir vermutlich nicht der Raum gegeben Dich zu entfalten und Strategien gelehrt, wie Du auf Dich aufpassen und Deine Bedürfnisse wertschätzen, stillen und auch einfordern kannst.
So. Und nun sind wir mitten drin im Ego-Thema.
Viele irritiert das Wort EGO. Egoismus! Ich hab kein großes Ego - also wirklich nicht. So richtig greifbar ist es irgendwie nicht. Ich mag den Begriff sehr und hoffe es leuchtet auch Dir im Verlauf dieses Podcasts ein.
Also, das Ego ist die Stimme der Bewertung und somit Dein persönlicher Leibwächter, es aktiviert auch diese vermeintlich „narzisstischen“ Anteile in Dir, als Resultat Deiner Unsicherheit. Es glaubt daher, es müsse ganz oben stehen, um gut zu sein. Und so lässt es auch das ein oder andere Opfer hinter sich, durchs abwerten, lästern, sich lustig machen usw.
Dein Ego suggeriert Dir, dass Deine Meinung ein Teil deines Selbst darstellt - logisch, das Ego glaubt ja auch es bildet den Mittelpunkt, obwohl es, wenn wir ganz ehrlich sind, gar nicht der Kern ist, sondern eher der Ring (wie die Ringe beim Saturn).
Staub, Gesteinsbrocken und Eiskristalle. Diese dienen beim Saturn nicht dem Schutz, aber sie konnten sich aufgrund der Schwerkraft des Saturns nicht zu Monden bilden, so wie bei anderen Planeten.
Und um in dieser Metapher oder Analogie zu bleiben: So lange Du Dein Ego mit Deiner Schwerkraft anziehst, wird der Ring, der „Schutz“, bleiben.
Erst wenn Du Dich langsam von ihm emanzipierst, kann der Ring zum Mond werden, der noch immer um Dich kreist und Dich beschützt, aber nicht mehr ALLES „Fremde“ von Dir fernhält.
Weg von der Metapher:
Dein Ego will Teil Deines Selbst sein und werden. Ist jemand mal nicht Deiner Meinung, sorgt das Ego dafür, dass Du Dich in Gänze abgelehnt fühlst. Dabei ist es doch voll okay, wenn jemand keine Zucchini mag und daher Deine Gemüselasagne verschmäht. Gleiches gilt auch für Deine Meinung zur Musik, Aussehen oder das Verhalten Anderer.
Durch Bewertungen, werden wir vor uns selbst beschützt oder eben vor Anderen. Hier bin ich sicher. Hier eher nicht. Das ist gut, das ist schlecht. So will ich sein, so lieber nicht, hier droht Gefahr, hier ist alles safe.
Die Ego-Stimme vergleicht gerne, sagt uns was wir tun oder sagen sollten und was lieber nicht. Sie sagt uns auch was wir gut können oder was wir eher nicht gut können.
Das ist furchtbar anstrengend! Es kostet so viel kognitive Kapazität, die niemand sieht und auch wir selbst vergessen manchmal wie viel Energie uns diese Stimme raubt.
So kann es passieren, dass wir uns über uns selbst und unser vermeintlich niedriges Stressniveau ärgern. Wir sind unkonzentriert. Und das Ego fühlt sich bei jedem Fehler der Dir unterläuft, jedes Verhalten, das vermeintlich zu sensibel war oder gar unverhältnismäßig aggressiv ist, bestätigt und signalisiert Dir, Du bist nicht gut genug.
Diese Ego-Stimme wurde laut Dr. Nicole LePera in den ersten 7 Lebensjahren internalisiert. Sie gehört zu Dir. Sie ist ein fester Bestandteil Deiner Persönlichkeit und wurde geprägt durch Deine Bezugspersonen.
Wenn diese ersten Jahre geprägt waren mit Abwertung, Scham, Schuld und dem Gefühl, Du bist eher anstrengend, Deine Gefühlsausbrüche sind anstrengend, Dein Verhalten unangemessen und vielen Korrekturen in Form von: Das macht man nicht! Stell Dich nicht so an! Was sollen die Leute denken? Oder Verleugnung Deiner Gefühle: So schlimm ist das nicht! Du darfst Dich nicht immer so schnell angegriffen fühlen! Dann adaptiert Dein Ego diese Aussagen, zum Schutz. Es meint es gut! Genau wie Deine Eltern vielleicht (vielleicht auch nicht), die Dir helfen wollten, dass aus Dir ein selbstbewusster, starker Mensch wird. Es geht hier nicht um Schuldzuweisungen, es geht um Bewusstsein. Ums Verstehen.
Wie oft höre ich so was wie: „Na ja, ich habe es meinen Eltern wirklich nicht leicht gemacht!“
Das sagt das Ego, um die Eltern und somit auch Teil Deiner Persönlichkeit zu schützen. Wir nehmen entweder lieber die Schuld auf uns, machen uns klein oder weisen die Schuld von uns und geben sie Anderen, dadurch begeben wir uns in eine Abhängigkeit, weil wir ausgeliefert sind.
Das Ego signalisiert Dir, dass Du nicht gut genug bist. Nicht gut, so wie Du bist.
Es denkt und überdenkt alles und jeden in und außerhalb Deiner Selbst. Und Du hältst daran fest. Oft unbewusst. Und Dein Ego hält an Dir fest. Es ist angewachsen. Internalisiert. Verinnerlicht.
Dennoch gibt es sicherlich Aspekte, die Du gut findest bzw. bei denen Dir Dein Ego sagt: Das kannst Du gut! Ohne Reflektion kann es dann also passieren, dass wir uns ausschließlich darauf besinnen:
„Ich bin eine gute Zuhörerin!“ (und hast dann oft Freunde um Dich herum, die viel Raum nehmen, aber Dir keinen geben!)
„Ich bin sehr empathisch!“ (Warum werde ich eigentlich immer dann angerufen, wenn es dem dem Anderen schlecht geht?!)
„Ich bin gut im Bett!“ (und irgendwie gerate ich immer nur an Männer die das Eine wollen!)
„Ich bin sehr resilient und stark!“ (Warum bleibt eigentlich alles immer an mir hängen?)
BEWUSST REFLEKTIEREN UND DIE STIMME BEWUSST KONTROLLIEREN:
Dr. Nicole Lepra hat den Tipp: Gib Deinem Ego einen Namen, statt immer im ICH zu denken:
„Ich weiß, dass ich nicht gut genug bin und strenge mich daher an und mache viel zu viel (Arbeit!)“
vs.
„Mein Ego (Karin) sagt mir, ich sei nicht gut genug, daher strenge ich mich an.“
Dein Ego ist weder gut noch schlecht. Es ist die Stimme der Bewertung in Deinem Kopf, es nutzt ein Sammelsurium von Rückschlüssen, Erfahrungen und daraus resultierenden Schutzstrategien. Es beschützt dein inneres Kind, bewahrt Dich davor Fehler zu begehen und ermutigt Dich Dinge zu tun, in denen Du gut bist. Es möchte Dich vor Enttäuschungen bewahren und zeigt Dir den sicheren, bekannten Weg durch Dein Königreich.
Es bewahrt Dich davor, dem Wolf zu folgen, den Apfel zu essen und am Pfefferkuchenhaus zu naschen.
Je nach Erfahrungen generalisiert es aber auch. Manchmal schützt es Dich gar vor Dir selbst und Deinem eigenen inneren Kind, indem es die Stimmen von Menschen adaptiert hat, die Dir die Schuld gaben, die Dir signalisierten, Du seist nicht gut genug, zu anstrengend, zu bedürftig…
Das Ego hindert Dich manchmal auch daran Dich zu verändern, über Dich hinaus zu wachsen, Dich zu entfalten, zu sein, wer Du bist und vor allem steht es Dir im Weg bei korrigierenden Erfahrungen.
Nicht jeder Apfel ist vergiftet. Nicht jeder Fremde führt böses im Schilde.
Du bist offensichtlich mehr als Dein Ego. Auch wenn Dein Ego sich sehr wichtig nimmt. Es ist diese arrogante Stimme aus dem Off. Manchmal liebevoll und doch immer vermeintlich allwissend.
Kontrolliert Dein Ego Dich oder Du Dein Ego?
Wenn es noch immer schlecht greifbar ist: Das Ego ist sozusagen Dein Selbstkonzept. Dein Selbstwert. Dein Selbstgefühl. So bin ich!
Wenn Deine Eltern bspw. Immer hervorgehoben, wie stark und lieb Du bist, dann will dein Ego dem entsprechen.
Du darfst nicht schwach sein und nicht rebellieren, falls Du es doch tust schämst Du Dich.
Aber bevor ich jetzt noch ganz viele Beispiele gebe, folgen nun 4 kleine Übungen, in denen Dein Ego vielleicht aktiviert wird und dann wird hoffentlich deutlich, wer oder was Dein Ego ist.
1. Denke mal an ein Lied oder einen Film, das oder den Du sehr magst. Und nun stelle Dir vor, Du schaust den Film, hörst den Song mit Deinem Partner oder einem Freund. Und er oder sie kritisiert den Film oder den Song. Wie fühlst Du Dich?
Vielleicht richtig mies? Vielleicht ärgerst Du Dich? Fühlst Dich abgelehnt? Zurückgewiesen? Zweifelst gar an eurer Beziehung?
Wenn Du glaubst, dass Du Deine Meinung bist, dann strebt Dein Ego danach, Deinen Wert aufrecht zu erhalten! Jede Erklärung des Anderen, warum er anderer Meinung ist, versetzt Dir vor allem einen Stich. Denn in jeder Erklärung hört Dein Ego nur, dass Du falsch bist. Also hört es nicht richtig zu.
In der Paartherapie werde ich nur allzu oft Zeuge vom Kriegsschauplatz zweier Egos, wenn sich beide nicht - unabhängig voneinander - bei mir in Sicherheit fühlen, werde auch ich zur Angriffsfläche.
Vielleicht hat er oder sie eine sehr negativ konnotierte Erinnerung an das Lied oder den Song. Oder keinen Zugang zu dem Genre. Oder bezieht sich auf die Dramaturgie. Oder den Gesang. Das Schauspiel.
Vollkommen egal!
Du bist nicht Deine Meinung.
2. Du bist in der Dienstbesprechung, die Kollegin, die eigentlich heute mit dem Protokoll dran ist, kommt zu spät und ist schlecht gelaunt, erzählt wütend von dem Stau, der Parkplatzsuche und davon, dass sie ohnehin furchtbar schlecht geschlafen hat und sich heute auch gar nicht gut fühlt. Was macht das mit Dir?
Wirst Du wütend? Nervt es Dich? Findest Du es unangebracht? Unangemessen? Ungerecht? Fragst Du Dich, warum sie sich nicht einfach hinsetzt und jetzt noch ihre negative Energie ablädt?
Wir wollen zu den guten Menschen gehören.
Was gut ist, lernen wir recht früh, durch die Reaktionen auf unser Handeln.
Helfe ich, bin ich gut. Helfe ich nicht, bin ich schlecht.
Vordrängeln findet keiner gut. Unpünktlichkeit hat was mit Respekt zu tun. Und private Probleme am Arbeitsplatz sind unangebracht…
Daher werten wir ab.
Und unser Ego hilft uns dabei: „So bist Du nicht.“
Das Problem: das Kategorisieren in Gut/Schlecht, das BEwertEN generalisiert sich, wir bewerten dann sehr rasch, sehr schnell und irgendwie immer. Auch uns selbst. Es fällt uns immer schwerer etwas zu verstehen, weil wir direkt ablehnen, oder gutheißen, wenn uns jemand etwas erzählt und gar nicht mehr richtig zuhören. Außerdem bewerten wir uns selbst ja auch. Falls Du Dich hier bei diesem Beispiel sehr geärgert hast, dann gehört Du vermutlich auch zu den Menschen, die es wahnsinnig stresst, wenn sie im Stau stehen und selbst zum spät kommen. Die fast anfangen könnten zu weinen, wenn sie so ausgeliefert zwischen all den Autos stehen.
3. Du hast gerade eine echt stressige Phase und versuchst irgendwie alle Bälle in der Luft zu halten. Eine Person, die Du ohnehin nicht leiden kannst, begrüßt Dich mit den Worten: Du siehst aber müde aus. Wie würdest Du am liebsten reagieren?
Meine Reaktion? Ey, weißt Du eigentlich, was ich gerade alles WUPPE? Und jetzt musst Du auch noch Nachtreten? Was soll das? Wie übergriffig und grenzüberschreitend das ist! Das ist so verletzend. Okay, sagen würde ich vermutlich nur etwas garstIG: „Bin ich auch!“
Diese Aussage wird nur dann zum Angriff, wenn wir unsicher sind. Unsicher, im Sinne von, wir wissen nicht, was die Person von uns hält, ggf. will sie uns Böses, hat niedere Absichten, will uns verletzen. Daher sind wir besonders achtsam und auf der Hut. Wir sind unsicher. Das kann bei Personen passieren, die wir nicht gut kennen, die wir nicht mögen, aber auch mit engen Familienmitgliedern oder gar dem Partner / der Partnerin, wenn man sich gerade in einer Krise befindet. Sagt es also eine Kollegin, die wir eh nicht gut leiden können, schützt uns unser Ego, indem es auf Gegenangriff geht, sich verteidigt. Sagt unsere beste Freundin das, fühlen wir uns sicher, brauchen das Ego nicht. Falls Du diesen Unterschied greifen kannst: Herzlichen Glückwunsch, Du weißt nun, wie leicht es sein kann, wenn Dein Ego Dich mal nicht kontrolliert, wie bspw. Bei Deiner besten Freundin.
4. Stell Dir vor, es findet ein Kuchenbasar, auf der Arbeit, im Kindergarten oder sonstwo statt. Du bringst einen Mamorkuchen mit, die anderen stellen hübsch dekorierte Obstböden und Sahnetorten ab, manche haben auch Cupcakes mit Glitzertopping mitgebracht. Was macht das mit Dir?
Fängst Du direkt an die anderen Muttis abzuwerten? Das sie sich scheinbar nicht gut genug um ihr Kind kümmern und lieber backen? Oder wertest Du das Hausfrauendasein ab? Unterstellst Du andere Dinge?
Oder freust Du Dich einfach nur über die vielen Leckereien?
Wir vergleichen, eigentlich um besser abzuschneiden, beziehungsweise um uns dadurch sicher zu fühlen. Wenn alle eine Mamorkuchen mitgebracht hätten, hätten wir nichts falsch gemacht. Eine schlechte Note ist nur halb so schlecht, wenn sie immer noch besser als der Durchschnitt wäre.
Diese extreme Wettbewerbsbetontheit lässt uns jedoch auch glauben, dass der Erfolg Anderer eine Bedrohung für uns darstellt: Wie beim Sprint, als gäbe es am Ende diesen einen Sieger des Lebens.
Dabei ist es doch gerade die Vielfältigkeit, die uns wachsen lässt, uns neues lehrt, Impulse gibt. Perfektionismus ist wie ein Gift, dass sich verbreitet und genährt wird vom Erfolg Anderer.
Und eigentlich streben wir nach Liebe, Zufriendenheit, Entfaltung und nicht nach Macht und Einsamkeit an der Spitze.
Hier wird deutlich, dass unser Ego nicht das gleiche Ziel verfolgt wie wir.
Die Frage könnte nun implizieren, dass wir gut damit fahren, uns zu verstellen und unser Ego ignorieren. Doch das hat fatale Auswirkungen, weil wir die Ablehnung unserer Selbst größer werden lassen und unser Ego immer schärfer eingestellt wird. Die Alarmanlage beginnt schrill zu kreischen, obwohl nur eine kleine Fliege an ihr vorbeigeflogen ist.
Zum scharf eingestellten Ego, anbei eine kleine Geschichte:
„Hey, komm rein!“, sagt Marina zu Thomas.
„Hallo. Tollen Vorgarten hast Du!“, begrüßt er sie.
„Willst Du was Trinken?“, fragt Marina.
„Gerne, was hast Du?“
„Schorle, Wasser, Kaffee, Bier, Tee…“, zählt Marina auf.
„Bier klingt gut, aber nicht alleine. Was trinkst Du denn?“, grinst Thomas.
„Okay, Bier!“
Marina holt zwei Flaschen und überreicht eine an Thomas. Beide bleiben unbeholfen zwischen Küche und Wohnzimmer stehen.
„Willst Du ne Führung?“, unterbricht Marina die Stille.
„Klar!“
„Was für ein schönes Schlafzimmer!“, vollkommen begeistert vom riesigen Bett, setzt er sich drauf.
Marina grinst keck: „Lieblingsraum!“, und setzt sich neben ihn.
Irritiert fragt Thomas: „Bleiben wir hier?“
„Warum nicht?“
„Okay.“ er lehnt sich nun an die Wand, Marina setzt sich neben ihn.
„So, jetzt erzähl doch mal, warum meintest Du, das Wort „Frauenpower“ sei unangemessen?“
Marina lacht und führt es aus. Beide entspannen sich zunehmend, trotz dieses „heiklen“ Themas für ein erstes Date. Das Eis ist gebrochen.
Nach 3 Stunden verabschiedet sich Thomas.
Marina kann nicht einschlafen, ihr geht es schlecht.
Warum?
Naja, jeder Mensch erzählt sich eine Geschichte, über sich selbst. Das Ego ist der Erzähler. Diese Geschichten beruhen auf Erfahrungen… Manche Geschichten beruhen auf schmerzhaften Erlebnissen, erzählen von Gefahren, manche von Erfolg - immer sind sie vertraut, oft wiederholen sie sich.
Marina hatte mal wieder ein erstes Date. Bei sich zu Hause. Dort fühlt sie sich wohl und sicher. Diesmal ganz bewusst, sie hat sich vorgenommen, sich zu öffnen und zu zeigen, sich nicht wie sonst zu verstellen, außerdem hatten sie lange geschrieben und schon oft telefoniert.
Doch schnell holte sie ihr Ego ein: Bereits der Vorgarten, der eher verwildert aussieht, erinnerte Marina an ihre vermeintliche Faulheit und ihre Unfähigkeit Unkraut von Blumen zu unterscheiden.
Plötzlich hatte sie auch noch die Stimme ihrer Freundin im Kopf: „Bei Dir Zuhause? Bist Du verrückt?“
Die Getränkewahl, war ganz nach Marinas Geschmack, weil Alkohol auch immer eine gute Ausrede war, wenn sie sich mal zeigte und das nicht gefiel. „Liegt am Bier, eigentlich bin ich ganz anders!“
Als Thomas sich aufs Bett setzt, flüstert ihr ihr Ego zu, dass Männer sie lediglich fürs Bett haben wollen, als Frau - so ihre Erfahrung - taugt sie nicht. Also setzt sie sich zu ihm und macht eine erste korrigierende Erfahrung: „Er macht keinerlei Anstalten ihr näher zu kommen, obwohl sie vermeintlich klare Signale sendet!“
Als sie dann im Redefluss ist, erinnert ihr Ego sie daran, dass die wenigsten, ihr bekannten Männer, gerne über Feminismus reden. Sie war wie immer zu viel und wechselt das Thema.
Das Ego verhindert eine korrigierende Erfahrung wie: „Es gibt auch Männer die sich nicht angegriffen fühlen, wenn Frauen über Feminismus reden.“
Als er sich dann verabschiedete - ohne Kuss / ohne Annäherung, hinterfragt ihr Ego das Date und macht gar die korrigierenden Erfahrungen kaputt: „Selbst im Schlafzimmer ist er Dir nicht näher gekommen!“ & „Er war nur höflich!“
Abhängig von den Glaubenssätzen mit denen Du so aufgewachsen bist, reagiert auch Dein Ego. Manchmal schützt es Dich auch, indem es Dich abwertet, bevor Du abgewertet wirst.
Welche Geschichte erzählt Dein Ego Dir?
„Beim ersten Date darf man sich doch nicht näher kommen!“
„Ein Kuss bedeutet rein gar nichts!“
„Er ist einfach zu nett und daher funkt es auch nicht!“
„Ich stehe halt auf Bad Boys!“
„Du musst ihm jeden Wunsch von den Augen ablesen!“
„Ich bin nicht so kompliziert wie Deine Ex!“
Marina wollte keinen Sex. Thomas auch nicht. Beide suchten nach etwas Ernsthaftem und hatten Sorge, dass Sex beim ersten Date das Signal senden könnte, es sei doch nur was Einmaliges.
Max hingegen heiratet nächste Woche Pia. Pia und er hatten unverbindlichen Sex nach der Kneipe, beide wollten gerade keine Beziehung, verliebten sich dennoch während ihres F+ Konzeptes.
Je nach Geschichte, die wir uns erzählen, funktionieren auch unsere Beziehungen, je abwertender die Geschichte über uns, desto mehr gilt es sich anzustrengen.
Daher nun die Frage an Dich: Bist Du auch so schlecht darin Beziehungen zu führen? Oder hast Du nur gelernt, gut in schlechten Beziehungen zu funktionieren?
Wer gemobbt wurde, keine bedingungslose Liebe erfuhr, wem suggeriert wurde er sei anstrengend oder selbst Schuld, der sucht den Fehler bei sich.
Teilweise wird gar Jemand Gutes abgewiesen, mit der Begründung es sei zu langweilig, zu „sicher“, unbewusster Mechanismus: „Der ist so gut, das fühlt sich komisch an, das kenne ich nicht, das kann ich nicht glauben, oder das habe ich nicht verdient!“
Vielleicht hast auch Du gelernt hervorragend in unberechenbaren und anstrengenden Beziehung zu funktionieren? Die Sicherheit und das vertraute Gefühl überwiegen dem Leid. Oder Du glaubst Leid und Unsicherheit gehören eben dazu?!
Vielleicht möchtest Du der Held sein und hast das Gefühl, Du müsstest einer Frau die Welt zu Füßen legen und wenn sie traurig ist, dann ist es Deine Schuld.
Vielleicht möchtest Du die Traumfrau sein, die unkompliziert ist, kaum etwas verlangt und ihm jeden Wunsch von den Augen abließt und selbst keine Ansprüche stellst - außer (klar!) geliebt zu werden.
Wir glauben dann, wir seien „Beziehungsunfähig“. Doch wie immer ist es eine Frage der Perspektive, vielleicht funktionieren wir auch einfach besser in schlechten, unausgeglichen Beziehungen, die unberechenbar und anstrengend sind.
Zurück zu Marina, willst Du wissen, wie es nach dem ersten Date weiterging?
Thomas schreibt: „Jetzt sitze ich im Zug und ärgere mich, dass ich mich beim Abschied so blöd angestellt habe. Sehen wir uns trotzdem wieder?“
Marinas Ego hat darauf direkt Alarm geschlagen: „Wenn er Dich nach dieser Nummer will, dann stimmt mit ihm doch was nicht!“
Wie abwertend Marinas Ego doch ist. Denn es wertet mit dieser Aussage ja vor allem Marina ab: Marina war natürlich und unsicher. Sie hat sich gezeigt und sich hier und da vom Ego lenken lassen. Und DAS kann ja keinem halbwegs vernünftigen Mann gefallen.
Marina ist es gewohnt sich anzustrengen, zu kämpfen, bei Thomas tat sie das nicht, trotzdem scheint er sie zu mögen… und plötzlich ruft ihr Ego: „Oder er ist verzweifelt!“
In fast jedem Bereich scheint es Regeln zu geben, aufgestellt vom Ego, das Erfahrungen kombiniert, Rückschlüsse zieht und Stimmen von anderen adaptiert und das ist großartig. Einerseits.
Andererseits variieren diese Regeln von Mensch zu Mensch, je nach Erfahrungen, Selbstwert, Schutzbedürfnis oder auch je nach erlebten Mangel.
Und nun übertrage die Dinge, die Dein Ego Dir sagt mal auf andere Situationen? Wie oft, tust Du etwas, weil Du scheinbar musst oder tust etwas nicht, weil es sich nicht gehört?
Und was, wenn Dein Ego Dir falsche Wahrheiten zuflüstert:
Wie scharf ist Dein Ego-Alarmsystem eingestellt?
Hier, in dieser kleinen fiktiven Geschichte wird deutlich: Das Ego möchte ja das Selbst beschützen! Das Selbst soll gut sein!
Gehen wir mal zurück zu den Beispielen vom Anfang:
1. Die Kollegin kommt zu spät und lädt ihre negative Energie ab.
Ego: Ihr Verhalten ist schlecht! Besänftige dein Ego zunächst, indem Du Dir bewusst machst, warum es so hart reagiert! Gut und Böse! Dann erinnere Dich daran, dass Du auch schonmal solche Tage hattest, wütend auf Dich selbst warst und ein Ventil brauchtest, das war okay. Es ist auch bei ihr okay.
Dennoch: Ihr Verhalten ärgert Dich, ggf. könntest Du ihr das sagen: Ey, wir sind hier schon mittendrin, ich habe das Protokoll übernommen, das nervt mich, klar, das kann passieren, aber ich würde hier gerne weitermachen.
Was sind denn gute Eigenschaften eines Menschen?
Das Problem: Dein Ego unterscheidet nicht zwischen Verhalten und Eigenschaften.
2. "Du siehst aber fertig aus!"
Unsicherheit sorgt für Angriff, indem Beispiel mit der Aussage: Du siehst aber fertig aus! Du weißt sehr genau wo Du Dich wohlfühlst und wo oder bei wem, es nicht so ist. Manchmal sind wir aber auch per sé unzufrieden und unser Ego ist somit permanent auf Angriffsmodus.
Versuche hier eine Beobachterrolle einzunehmen als Trick, wann ist Dir alles egal? Wenn Du verliebt bist vielleicht? Wenn Du Dich gerade in Deinem Körper wohlfühlst? Wenn Du sehr viel Anerkennung erfährst. Oder eben in Verbindung mit Menschen.
Wenn XY das gesagt hätte, wenn ich mich gerade wohlfühle… damit beruhigst Du Dein Ego und nimmst ihm die Macht und die Wucht.
Und akzeptiere Dein Ego, als einen Teil von Dir, dass nicht gelernt hat, Ablehnung von Ablehnung zu unterscheiden und reagiere entsprechend: Autsch! Das tut weh! Ich habe das sehr persönlich genommen und fühlte mich angegriffen.
3. Jemand ist Anderer Meinung
Du bist nicht Deine Meinung. So weit waren wir bereits.
Jetzt gerade, klingt es albern, wenn ich sage, dass ich mal eine Beziehung hatte, die ich hinterfragt habe, als er meine Musik nicht mochte. Doch genau so war es.
Übrigens: Ich mochte seine Musik auch nicht, geliebt habe ich ihn dennoch.
Akzeptiere Dein Egos: Die Musik spiegelt exakt Deine Werte wieder, sie beschreibt Liebe, wie Du sie empfindest, natürlich fühlt sich das bedrohlich an, wenn dein Partner mit der Musik nichts anfangen kann. Akzeptiere, dass Dein Ego so funktioniert. Das Bedürfnis nach Anerkennung und Zugehörigkeit ist größer as das Bedürfnis nach Wissen.
Ich hätte selbst vielleicht sagen können: „In dem Lied fühle ich mich so verstanden und nun fühle ich mich in Gänze abgelehnt.“ Vielleicht hätte ich selbst gelacht, wenn ich es ausgesprochen hätte und vielleicht hätte mein Partner damals gesagt: Ich kann EdSheeran einfach nicht leiden, ich habe noch nie auf den Text gehört. Dann hätte ich mich weniger abgelehnt gefühlt. Bzw. Mein Ego hätte mir seine andere Meinung nicht als Ablehnung meiner Person verkauft.
4. Das Beispiel mit dem Kuchenbasar: Also Vergleiche
Wir tun gerne so, als gäbe es da diesen Übermenschen und vernachlässigen komplett unseren Wunsch nach Individualität.
Versuche Dir deutlich zu machen, wie das Ego funktioniert, wofür es den Vergleich bedarf. Und baue Dir kleine Brücken, bspw. Sorgst Du ja mit deinem trockenem Mamorkuchen dafür, dass alle anderen sich gut fühlen. Danke dafür ;-)
Und Langfristig gelingt es Dir vielleicht sogar, Dich mit und für Andere zu freuen: „Wow! Toller Kuchen, ich wünschte ich wäre so talentiert!“, Du verteilst Anerkennung und Menschen werden gerne in Deiner Nähe sein, sie lehnen und werten Dich gar nicht für den Mamorkuchen ab… im Gegenteil, Du gibts ihnen die Chance sich gut zu fühlen. Wer weiß, wie es ihnen sonst so geht? Wer weiß schon, warum eine Mama so viel Zeit ins Backen investiert? Vielleicht ist sie sogar gelernte Konditorin oder es ist einfach eine Leidesnschaft von ihr, sie tut das also aus purer Freude, so wie Du vielleicht gerne malst, joggen gehst, tanzt, liest… oder oder oder…
Du hast nun schon ein gutes Bewusstsein über Dein Ego erlangt, das Bewusstsein, hilft Dir langfristig selbstbestimmt damit umzugehen:
Aktuell bist Du Deinem Ego vielleicht noch ausgeliefert und verbietest Dir zu sein, wie Du bist.
Korrigierende Erfahrungen bedeuten, Du verhältst Dich beim nächsten Kuchenbasar, das nächste Mal wenn jemand etwas Schlechtes tut, nicht Deiner Meinung ist oder Dich womöglich angreift, anders als bisher: Offen und Ego-schutzlos, mal sehen, ob Dein Ego Recht behält und es Dir in der Tat schlechter geht.
Ich bin gespannt was passiert.
Literatur / Quellen:
Feldman Barret, Lisa (2021): 7 1/2 Lessons about the Brain. Picador.
LePera, Nicole (2021): Heile. Dich. Selbst.: Warum auch kleinste seelische Verletzungen große Folgen haben – und wie du dich davon befreien kannst - Traumaheilung mit The Holistic Psychologist. Arkana.
Rogers, Carl R. (2015): Der neue Mensch (Konzepte der Humanwissenschaften) - Konzepte der Humanwissenschaften. 11.Auflage. Klett-Cotta.
Rogers, Carl R. (2009): Entwicklung der Persönlichkeit. Psychotherapie aus der Sicht eines Therapeuten. 17. Auflage. Klett-Cotta.