Paartherapie & Personzentrierte Beratung (GwG e.V.) 
Jennifer Angersbach

Selbstliebe

"Selbstliebe bedeutet nicht, dass ich mich für jeden Mist feiere. Ebensowenig wie Liebe bedeutet, den Anderen für jeden Mist zu feiern.
Liebe bedeutet Akzeptanz." Lieblingssternenstaub


Der Dialog

„Sag mal, Bettina, wie hast Du es eigentlich geschafft, Dich selbst zu lieben?“

„Ach! Das war ganz leicht!“, winkt Bettina ab und freut sich darüber ‚gesehen‘ zu werden.

„Echt? Zweifelst Du denn nie?“, fragt Lisa vorsichtig nach.

„Nee, also ganz ehrlich, ich war lange genug das Problem im Leben der Anderen, wenn jemand in mir Zweifel schürt, dann wird er entsorgt - so einfach! Daher solltest Du Dich übrigens auch dringend scheiden lassen! Aber das weißt Du ja selbst!“

Lisa wird flau im Magen. Sie senkt ihren Blick. Ja, es läuft gerade nicht gut mit Martin, aber sie weiß insgeheim auch, dass sie da nicht ganz unschuldig ist, doch sobald sie versucht mit Betina über ihre Schwächen zu reden, reagiert Bettina meist damit, dass sie ihr widerspricht und sagt, sie würde doch vollkommen zu Recht aufregen. Einerseits tut diese Bestärkung gut, andererseits weiß sie ja, dass sie selbst oft verletzend ist und eher einen Rundumschlag macht. 

Bettina unterbricht Lisas Gedanken: "Du musst halt einfach raus aus dieser Opferhaltung, Lisa! Du sitzt da wie ein Schluck Wasser in der Kurve, bemitleidest Dich selbst! Schau mal, wie gut mir die Trennung von Stefan tat! Das kannst Du auch!"

Lisa schüttelt den Kopf, immerhin hatten die beiden ganz andere Probleme, es gab auch keine Kinder: „Aber, ich…!“

Bettina grätscht direkt rein: „Nee! Echt jetzt! Ich kann das nicht mehr hören!!! Du bist selbst Schuld!“

Lisa fühlt sich wie überfahren: „Na ja, also mit Martin, da… ich hab ja oft auch wirklich nicht gesagt, was ich möchte und dann ist es doch nachvollziehbar, dass er auf dem Schlauch steht!“

„Wenn er Dich schätzen würde, würde er es merken, wenn Du etwas brauchst! Tut er nicht. Also trenn Dich! Ich kann das echt nicht ertragen! Und wenn Du Dich selbst lieben würdest, dann würdest Du Dich nicht so behandeln lassen! Ich schick Dir gleich mal den Link zu dem Kurs, da kriegste die richtigen Glaubenssätze!“

Lisa mag Bettina irgendwie von Tag zu Tag weniger, seit sie sich selbst liebt, ist sie zwar nicht mehr so hart zu sich selbst, aber hart ist sie weiterhin, zu Anderen. 

Wenn Selbstliebe das mit einem macht, dann möchte Lisa sich gar nicht selbstlieben.

Das Dilemma von Lisa, begegnet mir oft in der Praxis: Einerseits der Wunsch, endlich mit sich ins Reine zu kommen und andererseits ist sie selbst „Opfer“ von der vermeintlichen Selbstliebe ihrer Freundin Bettina.

Die Auflösung

Selbstliebe, ja, aber bitte nicht auf Kosten Anderer. Diese Fehlkonzepte der Selbstliebe, die falschen Vorbilder der Gurus dieser Welt, die es angeblich erstanden haben und dabei den Blick für ihre individuelle, vielleicht priviligierte Situation vergessen. Die gute Absicht einerseits, das Fehlen von Empathie auf der anderen Seite.

Und Bettina? Bettina steckt im gleichen Dilemma, sie würde sich so gerne selbst lieben, scheitert jedoch nach wie vor, aber fühlt sich zumindest nicht mehr schlecht dabei. Dafür tun das Andere.

Selbstliebe bedeutet Selbstakzeptanz, ich bin mir darüber bewusst, dass ich, wie jeder, Schwächen und Fehler habe, dass ich nicht immer so reagiere, wie ich es gerne würde, dass ich Bedürfnisse habe, wie jeder Mensch und das ich lediglich ein Teil dieser Gemeinschaft namens Menschheit bin.

Ich habe in diesem Podcast spontan einige vermeintliche Selbstliebeparolen aufgeschrieben, und werde sie hier nach und nach präsentieren und versuchen die Fehlkonzepte aufzulösen.

Nein, ich bin alles Andere als perfekt und auch wenn ich aus der Ich-Perspektive spreche, so bin ich mir darüber bewusst, dass auch ich noch lange nicht so handele, wie ich es gerne würde. Aber ich strebe dieses Ziel an, das Ziel der bedingungslosen Akzeptanz, das was mir in der Beratung meist gelingt, im privaten jedoch immer wieder eine Herausforderung darstellt.

Dinge, die Menschen NICHT sagen, wenn sie sich selbst lieben.

„Wenn Du mich nicht verstehst, dann ist das Dein Problem!“
Ich strebe nach wie vor danach, gesehen, gehört und verstanden zu werden. Nicht mehr um jeden Preis, ja. Aber ich kann mich durchaus für mich einsetzen und sehe mich in der „Eigen“Verantwortung, Verständnis zu bekommen. Es ist nicht „Dein Problem“, sondern „Unser Problem“ und erst wenn es keine Bereitschaft gibt, kann ich mich - ohne jemanden zum Täter/Problem zu machen - von dem Teil der Eigenverantwortung verabschieden.

„Meine Meinung ist korrekt, wer sie nicht hören will, darf gehen.“
Ich erlaube mir, mich selbst zu reflektieren und meine Ansichten zu verändern, ich bin offen, weil ich weiß, dass ich nicht an Wert verliere, wenn ich mal Unrecht habe und kann meine Meinung auch ohne Abwertung anderer Ansichten vortragen. Niemand muss gehen.

„Schau her, wie weit ich es schon gebracht habe!“
Mit Druck und Abwertung erzeuge ich keine intrinsische Motivation. Außerdem weiß ich selbst gut genug, dass wir alle individuell sind, ich vielleicht in gewissen Bereichen privilegierter bin und in anderen eben nicht. Das gilt auch für Mitmenschen. Daher stelle ich mich nicht über Andere, sondern begegne auf Augenhöhe - ohne meine Leistung abzuwerten. Ich kann auch stolz auf mich sein, ohne meine Leistung zu jemand Anderem ins Verhältnis zu setzen.

„Raus aus der Opferhaltung!“
Ich mache Opfer nicht zu Tätern. Auch dann nicht, wenn sie sich selbst Leid zu fügen, weil sie nie gelernt haben „Verantwortung für sich selbst“ zu übernehmen. Und erst Recht nicht, wenn die Täter eben von außen vorhanden waren oder sind - auch dann nicht, wenn es im Außen Sicherheit gibt, weil ich verstehe, dass Angst auch ohne akute Gefahr vorhanden sein kann. Wenn ich Kapazitäten habe, gebe ich Verständnis und Sicherheit.

„Ich bin nicht schuld, Du bist schuld!“


Schuld ist ein umstrittenes Wort, zu Recht. Es gibt Dinge, die sind in meiner Verantwortung, aber mir fehlte die Kraft, der Mut oder das Bewusstsein, dieser nachzukommen. Aus Gründen. Ich begegne mir mit Akzeptanz. Ich begegne auch Dir mit Akzeptanz. „Ja, Du hast mir weh getan, ich bin traurig, Du hättest das verhindern können, hast es aber nicht, aus Gründen.“

Trauer hilft mir beim Verarbeiten. Ich muss Dir keine Schuld geben, um traurig zu sein, dass darf ich so oder so sein, wenn ich es bin. Schuld würde von meiner Trauer ablenken und Wut erzeugen, die im stillen zur Verzweiflung und Frustration bis hin zur Lethargie führen kann, sofern ich sie nicht ausleben kann.

„Du musst Deine Komfortzone verlassen, sonst bist Du selbst Schuld.“
Es ist vollkommen okay, für Komfort zu sorgen. Wer sich in seiner Komfortzone nicht wohlfühlt, wird sie früher oder später verlassen. Who am I to judge? Und falls er/sie sich unwohl in der Komfortzone fühlt und mich fragt, was er/sie tun kann, höre ich genau zu, wenn ich helfen möchte, statt mir Parolen um mich zu werfen.

„Wer meine Grenzen überschreitet ist toxisch!“
Grenzüberschreitungen sind nicht per sé bösartig. Wie oft, hätte ich mir gewünscht gesehen zu werden und Hilfe zu bekommen, ohne darum bitten zu müssen? Per Definition eine Grenzüberschreitung, wenn ich sage, ich schaffs alleine.
Es gibt einen nachvollziehbaren Grund, ich muss deswegen noch lange keine Grenzen überschreiten lassen, nur weil es jemand „gut meint“, aber ich muss auch niemanden abwerten oder unterstellen er/sie sei toxisch, um meine Grenzen zu wahren.

„Du musst Dich selbst lieben…“
Ich bin mir über die Fehlkonzepte der „Selbstliebe“ bewusst und weiß auch dass Menschen liebenswert sind, unabhängig von ihrer eigenen Sicht auf sich selbst. Ich beschäme niemanden, mache ihn/sie zum Opfer oder signalisiere ganz subtil, was sie doch für Loser sind, weil es ja eine ganz einfache Lösung gibt. Es ist nicht einfach, nicht schwarz-weiß, ich begegne mit Akzeptanz, Neugierde und Mitgefühl - sofern mir mein Gegenüber wichtig ist und ich Kapazitäten habe. Trifft eines der beiden nicht zu, schweige ich lieber, statt abzuwerten und noch mehr Leid zu verursachen.

Das Fazit

Wer Selbstliebe als Egoismus benutzt oder sein abwertendes Verhalten mit Selbstliebe rechtfertigt, scheint eine sehr verzerrte Auffassung von Liebe zu vertreten und sich eben selbst so gar nicht zu akzeptieren, sonst wäre er/sie nicht so abhängig von Bestätigung und würde beim Ausbleiben dieser so hart reagieren, in Form von oben genannten Aussagen.


Liebe bedeutet Akzeptanz.
Liebe ist bedingungslos.
Liebe ist etwas Leichtes.


Anerkennung, kann ein Anzeichen von Liebe sein.
Eine Beziehung ist an Bedingungen geknüpft.
Missverständnisse, Bewertungen, Sehnsüchte, Verletzungen sind schwer.


Wenn ich mir selbst mit Akzeptanz, Liebe, begegne, dann habe ich entweder ausreichend Sicherheit erlebt, die es mir erlaubt hat, für mich einzustehen und meine Bedürfnisse zu stillen, weil ich weiß, dass es nichts nutzt, mir etwas zu verbieten, was ich brauche und weil ich ausreichend Sicherheit und Vertrauen darauf habe, dass ich nicht abgelehnt werde, wenn ich mal nicht so bin, wie ich vielleicht gerne wäre.

Oder aber, es war ein harter Weg, mir diese Sicherheit zu erarbeiten, in dem ich unsichere Erfahrungen verstanden habe und es geschafft habe sie in mein Sein zu integrieren und destruktive Muster (Abwertung von Anderen oder mir selbst) mit Hilfe von Verständnis und Mitgefühl in konstruktive Muster voller Akzeptanz zu verändern.

In beiden Fällen begegne ich Anderen also mit eben dieser Akzeptanz und dem Wissen, dass jeder Mensch im Kern gut und in der Lage ist, sich zu aktualisieren.
Ich setze Grenzen, ohne Andere bewusst und offenkundig abzulehnen. Ich verstehe, dass Opfer Schutz und Sicherheit benötigen, ich bin mir bewusst, dass ich anders bin und ein Vergleich nicht hilft und ich strebe nach Selbstaktualisierung, weil ich mir darüber bewusst bin, dass das Leben ein Prozess ist, ich meine Meinung verändern und mein Wissen erweitern kann. Ich begegne Menschen die Zweifeln mit Mitgefühl, statt mit Mitleid, weil ich ausreichend Kapazitäten habe mit auszuhalten. Und ich brauche eben nicht permanent Bestätigung von außen und stelle mich nicht über Andere.

 
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