Paartherapie, Personzentrierte Beratung & Weiterbildung (GwG e.V.) 
Jennifer Angersbach
Selbstliebe

Der Sinn des Lebens

Endlich glücklich. Endlich die Liebe des Lebens gefunden. Endlich erfolgreich. Endlich geheilt. Oft streben wir nach Glück, nach Zufriedenheit und glauben, dass das ein Ziel ist. Ein Ziel bedeutet jedoch immer, das man es irgendwann erreicht und ... und dann? Auf ewig glücklich? 

"Das Gute Leben ist ein Prozess, kein Zustand" - Carl Rogers 

Okay. Hm. Macht Sinn. Aber wonach dann streben? Was ist dann das Ziel, das es zu erreichen gilt?

Ein zufriedenes Leben, ist nicht nur geprägt von Glück. Kleine Glücksmomente gehören dazu, Glück zu haben fühlt sich toll an, noch besser fühlt es sich an, selbst für etwas Schönes zu Sorgen. Selbst. Da ist es wieder dieses Wort. Ich selbst. Im Selbst entspringt oft diese Unzufriedenheit, man ist unzufrieden, weil Bedürfnisse nicht befriedigt werden, entweder wird man wütend auf die, die es zwar könnten, aber nicht tun. Oder aber man wird wütend auf sich selbst, weil man diese Bedürfnisse hat. 

Oder man denkt sich, wenn ich nur, dieses und jenes hätte, erreichen könnte, geschafft habe. Und zack, schon sind wir wieder bei dieser verrückten Idee, es gehe darum ein Ziel zu erreichen. 

Ja, Ziele machen Sinn. Auch im Leben. Ziele geben dem Leben aber eben keinen Sinn und Ziele sorgen auch nicht dafür, dass wir zufrieden udn erfüllt sind, maximal kurzfristig bei Zielerreichung. Immer höher, schneller, weiter... Erreicht man dadurch eigentlich auch schneller das Ziel des Lebens? Ist das Ziel nicht immer am Ende? Also ist das Ziel des Lebens nicht der Tod?

Okay, back on track. Ein Aspekt von Zufriedenheit ist es also, mit sich selbst zufrieden zu sein. Hier sind wir dann beim Selbstwert. 

Wie wertvoll bin ich? 

Oft definieren wir unseren Wert über unsere Sein. Dadurch, dass wir unser Sein jedoch immer wieder bewerten und auch abwerten, mangelt es an Selbstwert. Also versuchen wir den Mangel durchs Tun auszugleichen, um wiederum Anerkennung zu bekommen, von der wir glauben, endlich mal auch unser SEIN als wertvoll ansehen zu können.

Doch diese Logik ist schon wieder nicht durchdacht. 

"Ich fühle mich glücklicher, nur weil ich, ich selbst bin und andere sie selbst sein lasse." - Carl Rogers

Sie zwingt uns dazu, insbesondere, wenn wir übertreiben, für Andere zu leben, die Wünsche und Bedürfnisse Anderer zu kennen und zu stillen und irgendwann merken wir: Wer stillt eigentlich meine Bedürfnisse und erfüllt meine Wünsche? Wenn da niemand ist, sind wir vielleicht enttäuscht und fühlen uns ausgeliefert, ungerecht behandelt und gar bestätigt darin: Ich bin es vielleicht einfach nicht wert. Oder wir distanzieren uns von Anderen gänzlich, isolieren uns selbst und laufen Gefahr zu verbittern.

Zugehörigkeit • eine Aufgabe • Selbsttranszendenz • Story Telling

Diese vier Säulen nach Emily Esfahani Smith aus „The Power of Meaning“ bilden eine Zusammenfassung wissenschaftlicher Erkenntnisse ab, durch die unser Leben einen tieferen Sinn erhält und sich mit ihm und durch ihn eine innere Zufriedenheit einstellt.

Doch bevor ich näher auf diese vier Begriffe eingehe, ein kleiner Dialog, der einige Aspekte vielleicht greifbarer und verständlicher werden lässt:

Kleines Beispiel: Lea (29)

Lea vermutete zunächst, dass ihr etwas in ihrer Beziehung fehlt. Und diese Vermutung ist gar nicht unbegründet. Paaren bei denen irgendwie "die Luft raus ist" mangelt es häufig an einem gemeinsamen Sinn in der Beziehung, dazu habe ich auch einen Beitrag und weil es so passend war habe ich - zumindest die fiktiven Dialoge miteinander verbunden. Doch hier geht es nicht um den gemeinsamen Sinn, sondern um den eigenen Sinn. 

„Ich glaube Du hast recht...“, beginnt sie und fügt unsicher hinzu, „darf ich Du sagen?“

„Klar!“

„Ich glaube MIR fehlt irgendwie ein Sinn. Christian und ich haben lange geredet, er hat sogar Deinen Podcast gehört. Mir fehlt ein Sinn.“

„Im Leben?“, frage ich vorsichtig nach.

„Ja, nein... also ich stelle nicht mein Leben in Frage, vielmehr stelle ich in Frage, was ich daraus so mache. Es gab immer etwas, auf das ich hingearbeitet habe, ohne groß zu reflektieren, warum eigentlich. Es gab die klassischen Ziele:
Ein Mann, ein fester Job, der Spaß macht, ein Haus, irgendwann Kinder. Und bis auf die Kinder hab ich alles... es wirkt nur gerade so als habe ich vergessen zu leben“, erklärt sie.

„Und das machst Du Dir zum Vorwurf.“, sage ich.

„Ja. Irgendwie schon“, sagt sie, schaut dann aus dem Fenster, überlegt und setzt erneut an, „ich glaube es ist eher der Vorwurf, dass ich nicht glücklich bin. Ich fühle mich so undankbar!“

„Weil Du so viel mehr hast als Andere und es dennoch nicht reicht.“, spiegel ich, was ich verstanden habe.

„Ja! Und das zieht sich so durch! Mir ist immer alles leicht gefallen, ich hatte eine schöne Kindheit mir mangelte es an nichts. Schule war kein Problem und auch das Studium war kein Problem. Ich musste nicht arbeiten, tat es dennoch. Während andere ihr Studium mit 10.000€ Schulden ans Bafögamt abgeschlossen hatten, habe ich 10.000€ gespart. Ich fand direkt nen Job, jetzt habe ich einen unbefristeten Vertrag. Meine Kollegen sind toll. Mein Mann ist wundervoll.“

„Und trotzdem fehlt etwas.“, schließe ich den Gedankengang ab.

„Ja.“

„In Deiner Zusammenfassung geht es viel um Leistung und Erfolg und darum, dass es Dich keine Anstrengung kostet.“


„Na ja, was heißt ‚keine Anstrengung‘, das ist halt der Preis für Erfolg“, erklärt sie mir.

-

Hier wird deutlich, dass wir manchmal gewisse Ansichten haben und glauben, die seien „normal“ und daher werden sie nie hinterfragt. 

Für Lea ist Anstrengung der Preis für Erfolg, das ist Gesetz und genau deswegen, redet sie auch nicht über ihre Anstrengung, zeigt diese nicht. Gleichzeitig hätte sie sich schon auch Anerkennung dafür gewünscht. 

Sie zeigt ihre Anstrengung nicht und ärgert sich darüber, dass diese keiner sieht.
Sie selbst sagt gerne, ihr fiel und fällt alles leicht, sagen das jedoch Andere versetzt ihr das einen Stich.

Diese Ambivalenz zur Verfügung gestellt, löst in ihr ein Gefühl von Scham aus. 

Erstaunlich, dass in die kritische Auseinandersetzung mit einem Smiley in einer WhatsApp mehr Zeit investiert wird, als in die kritische Auseinandersetzung eigener Glaubenssätze. Ja. Das ist provokant. Letzteres ist alleine gar nicht so einfach, eben weil sie mit Scham verbunden sind, weil wir uns die Schuld geben oder weil wir unser Verhalten aus (heutiger Sicht) ablehnen. 
Okay. Komm zum Punkt was hat das alles mit Sinn zu tun?

Lea fühlte sich immer irgendwie außen vor. Ihr Bruder brauchte damals immer schon mehr Aufmerksamkeit, er funktionierte im Gegensatz zu ihr nicht so. Gleichzeitig hatte er viele Freunde im Gegensatz zu ihr, sie fühlte sich immer irgendwie missverstanden von Anderen.
Im Studium hatte sie nen Ehrenamt, allerdings nicht aus Überzeugung, sondern für den Lebenslauf. Sie war allerdings ohnehin komplett überlastet, das durfte nur niemand sehen und hat sich am Ende noch selbst verurteilt, dafür, dass sie ihr Ehrenamt eher als Stress empfunden hat und sich nicht so 'leidenschaftlich' einbringen konnte, wie die Anderen, dabei lag es weniger an Desinteresse, vielmehr lag es an Zeitmangel. Hobbys hat sie kaum welche, außer lesen, dafür fehlt allerdings die Zeit. Sie fragt sich manchmal wofür sie wohl brennt und ob es wohl irgendwas gibt, bei dem sie all das drum herum mal vergessen kann, aber ihre Gedanken sind einfach immer da. Permanent. Und zu guter Letzt, erzählt sie ihre Geschichte bisher immer aus der gleichen Perspektive: Ihr ging es immer super, sie ist erfolgreich und somit ist sie wohl einfach undankbar wenn sie sich darüber nicht freuen kann.

Der Sinn des Lebens

Die vier Säulen zu mehr Sinn

Zugehörigkeit

Umgeben Dich Menschen, die Dich kennen und lieben, so wie Du bist? 

Das Gefühl der Zugehörigkeit entspringt der Liebe.

Zugehörigkeit ist auch eine Entscheidung:
Hast und willst Du Beziehungen zu Menschen aufbauen, in denen Du Dich zeigst wie Du bist und andere sein lässt wie sie sind?

Und das ist wahnsinnig riskant! Je öfter ich vielleicht verletzt wurde, desto schwieriger fällt es mir mich zu zeigen, auf etwas einzulassen, zu vertrauen. Also jein, ja, es ist eine Entscheidung und nein, vielleicht hält mich mein eigener Selbsterhaltungstrieb davon ab, inwiefern kann ich mich also bewusst dafür oder dagegen entscheiden, wenn ich das Gefühl habe, davon hängt meine Existenz ab?! Statt Dich also nun angegriffen zu fühlen und zu denken: "Sie hat leicht reden!" oder aber statt das Gefühl zu bekommen: "Ich bin einfach nicht mutig genug, mich verletzlich zu zeigen!" 

Selbstliebe

Hier ist Variante 3: Dir fehlt es an Sicherheit, an korrigierenden Erfahrungen und weil Du gerade ohnehin und vermutlich schon Dein ganzes Leben für Dich und um Dein Leben kämpfst, bist Du mittlerweile einfach nicht mehr bereit Dich komplett schutzlos in Gefahr zu bringen. Das ist nachvollziehbar und verständlich. Bevor Du Dich also einem anderen Menschen öffnest und in Gefahr bringst, versuche lieber erstmal Dich in Sicherheit zu bringen und dann bewerte und entscheide neu.

Zugehörigkeit gibt uns Sicherheit, Kraft und Anerkennung, doch erfordert zunächst auch eine Menge Mut und somit auch eine gewisse Sicherheit. Denn es geht nicht darum sich zu verstellen, um dazu zu gehören. Sondern darum, so zu sein wie man ist. Nur so fühlen wir uns sicher, nur so kostet es keine Kraft und nur so fühlt sich die Anerkennung echt an.

Aufgabe

Was ist Deine Bestimmung? Deine Aufgabe? 

Es geht darum, was Du gibst und zwar was Du mit Leichtigkeit geben kannst, ohne Dich aufzuopfern, ohne existentielle Not, nicht „um zu“...

Ich möchte hier nicht den Glaubenssatz propagieren: „Ich bin nur dann wert geliebt zu werden, wenn Andere von mir profitieren.“ (denke an den Beginn!)

Vielmehr ist es eine intrinsische Aufgabe, etwas was Du gibst und durch das Geben profitierst, erfüllt wirst - unabhängig von der Reaktion des „Bekommenden“.

Selbstliebe

Das missverständliche an der Aufgabe, die uns Sinn gibt, ist, dass wir ja oft schon ganz viel tun und ganz viele Aufgaben haben, um uns sinnvoll zu fühlen. Vielmehr geht es jedoch bei der Aufgabe nicht darum, sie als Instrument für Anerkennung zu nutzen, sondern eine Aufgabe zu finden, die uns durch das „Tun“ erfüllt und nicht durch das, was wir am Ende dafür bekommen.

Insbesondere das Ende muss häufig auch sichtbar sein, es kann also auch sein, dass Du wahnsinnige viele sinnvolle Aufgaben hast, bei denen es Dir gar nicht um Anerkennung oder so geht, Du aber selbst kein Ergebnis siehst und daher auch keine Sinnhaftigkeit Deiner Selbst empfindest oder aber, das Gefühl hast, Du machst zwar viel, aber es ist am Ende doch einfach ZU wenig.

  • Du bist immer für Deine Nachbarin da, wenn sie Unterstützung braucht (aber wirst bei einem Gespräch mit ihr nach 3 min ungeduldig, weil Du einfach keine Zeit hast und fühlst Dich daher schlecht.)
  • Du spielst, kuschelst mit Deinem Kind - liest ihm vor (während der Haushalt liegen bleibt und Du hast das Gefühl als Mutter überfordert zu sein, weil Du nicht beides hinbekommst).
  • Du verbringst den halben Sonntag im Garten, fühlst Dich eigentlich gut, aber irgendwie sieht alles noch immer eher nach Wildwuchs aus.

Ein weiterer wichtiger Hinweis: Menschen, die sich oft und schnell für Andere verantwortlich fühlen, ein schlechtes Gewissen haben, wenn sie krank werden, permanent das Gefühl haben, dass das was sie tun, nicht reicht oder nicht gut genug ist. Menschen, die Perfektion anstreben und deren Leistung nur dann als solche gilt, wenn man sie sehen kann ("Wenn ich ein halbes Jahr joggen gehe, und am Ende das gleiche wiege, hab ich was falsch gemacht!" "Ich spiele den ganzen Tag mit meinen Kindern und wenn mein Mann am Abend kommt, dann denkt er bestimmt ich bin faul, weil ich ja nichts geschafft habe"...) Die Menschen, die also in allen Bereichen ihres Lebens Aufgaben übernommen haben, oder sich verantwortlich fühlen,  sowohl für das Glück des Partners / der Partnerin, als auch für die Elternpflegschaft der Kinder (trotz weiterer Kinder und Job) o.ä. bei denen fehlt und mangelt es gar nicht an einer Aufgabe, sie haben so viele Aufgaben, das ALLES anstrengend ist und weil ALLES anstrengend und NICHTS GUT GENUG ERFÜLLT werden kann, empfinden sie bei keiner dieser Aufgaben einen Sinn. Im Gegenteil, sie empfinden sich als weniger sinnvoll, weil das ja alles selbstverständlich ist und sie kriegen es ja nicht mal richtig hin.

Selbsttranszendenz

Transzendenz, das Übersteigen von etwas, oder das Überschreiten von Grenzen. Der Begriff wird immer wieder im Zusammenhang mit Religion, Spiritualität und in der Philosophie verwendet, um auf etwas Erhabenes hinzuweisen.  

Die Selbsttranszendenz beschreibt diese kleinen Momente im Leben in denen wir all den Stress,  die Anforderungen und Erwartungen von Anderen (und uns selbst) vergessen. In denen wir unabhängig von unserem Selbst- & Fremdbild in einen erhabenen Zustand des Seins abtauchen.

Manche erleben diesen Zustand beim Tanzen, Andere beim Betrachten von Kunst, beim Lesen oder in einer (bspw. spirituellen) Gemeinschaft. 

Selbsttranszendenz

Was lässt Dich alles um Dich herum vergessen? Was gibt Dir diesen Zustand vollkommener Freiheit? Ein Gefühl von frei-sein. Frei von Bewertungen (eigener und Anderer)? Einfach mal sein. 

Story-Telling

Jeder Mensch hat eine ganz eigene individuelle Geschichte, doch selbst identische Ereignisse, werden von Einzelnen anders wahrgenommen, interpretiert und reflektiert.
Es geht beim Story-Telling nicht darum Ereignisse aneinander zu reihen, vielmehr darum verschiedene Interpretationen zu finden und andere, neue Perspektiven zuzulassen, um zu verstehen. 
Viele streben danach, mit sich selbst ins Reine zu kommen. Doch irgendwas hindert sie. Was genau sie hindert, liegt oft versteckt in Erfahrungen die als ‚schambehaftet’ bewertet (oder anderweitig abgewertet) wurden. Diese Scham soll verschwinden, man versucht sie auszugleichen durch Verhaltensweisen, versucht sie loszuwerden durch Verdrängung. Der Weg jedoch führt durch die Erfahrung selbst und einer Neubewertung, die das Annehmen erleichtert und Veränderung ermöglicht.

Story Telling

Story-Telling ist also eine Variante der Reflexion, um mit Dir selbst ins Reine zu kommen: Finde vielleicht - auch wenn Dir das zuwider ist - Ausreden und Erklärungen, warum die Dinge die Du abwertest, gar nicht schlimm sind. Übertreibe ruhig. Versuch dadurch Deine Perspektive auf Dich selbst zu verändern. Oft wird dieser Prozess gestört durch Glaubenssätze aus der Kindheit oder Verständnis für Andere. Aber wenn Du Dich nicht verstehst, wer soll dann Dich verstehen? Verstehen, warum Du bist, wie Du bist? 

Literatur / Quellenangaben

Rogers, Carl R. (2015): Der neue Mensch (Konzepte der Humanwissenschaften) - Konzepte der Humanwissenschaften. 11.Auflage. Klett-Cotta.

Rogers, Carl R. (2009): Entwicklung der Persönlichkeit. Psychotherapie aus der Sicht eines Therapeuten. 17. Auflage. Klett-Cotta.

Smith, Emily Esfahani (2020): Die vier Säulen eines erfüllten Lebens - Was wirklich zählt.

Stahl, S. (2015): Das Kind in dir muss Heimat finden. Kailash-Verlag, München.




 
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